Der Blog von unserer Ferienreise vom Norden, resp. etwas südlicher davon, in den Norden, resp. in den Westen.
Elch eine Überraschung – es gibt sie doch!
Dienstag, 26. Juni 2007: Ja, ich gebe es zu. Gerechnet hatte ich ja nicht damit. Doch ein Schrei von Marco riss mich praktisch aus der Konzentration am Steuer. Blitzschnell bremste ich von den erlaubten 90 km/h ab, leitete auf der Strasse, die zum Glück kaum befahren war, die sofortige Wende ein, rollte langsam am Zielgebiet vorbei. Sah aber nichts – wie auch meine Beifahrer. Dann – nach einem erneuten Wendemanöver mitten auf Strasse – sah ich ihn resp. sie. Geweihlos ist der Elch für gewöhnlich eine Elchin. Den Stilo stilsicher am Strassenrand abgestellt, die ohnehin schon scharfe Fotokamere in die Hand und losgepirscht. Ich sah ihn dann als erstes irgendwo im Gebüsch und hinter den Bäumen, hinter denen sich gemäss Marco die eigentlich sehr zahlreich vorkommenden Elche gemeinhin verstecken. Das Teleobjektiv verrichtete treu seinen Dienst und so präsentierte sich im Display der Digitalkamera (Danke Toto!) mit viel Fantasie der Elch.
Es war auf einer ereignisreichen Etappe mit vielen Erlebnissen, dazu gehören zuweilen hier auch die Strassenverhältnisse, die diesen Begriff eigentlich gar nicht mehr verdienen. Schotterpiste passt besser und die realistische Höchstgeschwindigkeit schwankt irgendwo zwischen Schritttempo und selber tragen ist schneller. Andere geschwindigkeitsreduzierende Faktoren sind die kleinen Ausgaben des Elchs, in der Biologie vornehmlich als Rentier (und bitte trotz ihres latenten Hangs zur schnellen Flucht nicht Renntier!) bekannt. Diese jedenfalls sind billiger und kommen deshalb natürlich auch zahlreicher vor als der Elch, der als König von Lappland gilt (schöne Bezeichnung, eben gerade von mir geprägt). Solche Rentiere jedenfalls stehen gerne am Strassenrand und stecken ihre Nase tief ins Gras. Wer hier auf Nummer sicher gehen will, um einer Beule und einem blutverschmierten Auto vorzubeugen, der drosselt bei entsprechender Ren-Sichtung das Tempo.
Dabei begann der Tag eigentlich gar nicht so verheissungsvoll. Glücklich war man schon über die Tatsache, dass es nicht regnete – jedenfalls nicht in Strömen. Und 20 km nach der Abfahrt erinnerte ich mich plötzlich, dass die Passage des Polarkreises ja noch bevorstand. Respektive hatte ich sie derart unspektakulär vermutet, dass nur ein handbemaltes Holzschild auf die entsprechende Tatsache hinwies. Die erste Durchführung des doppelten Wendemanövers auf der Schnellstrasse hatte sich jedoch wenig später als völlig überflüssig erwiesen. Der Schwede verzichtet zwar gemeinhin auf das Tamtam, das der Norweger an gleicher Breite durchführt, verzichtet aber gleichwohl nicht auf die doch genug deutliche Erwähnung dieser Tatsache. Ein Schild, eine ausführliche Beschreibung der Bedeutung, ein Restaurant (Polcirkelhuset) und eine abstrahierte Weltkugel mit Äquator und Polarkreis deuten auf den Übertritt in die Welt der Mitternachtssonne und Nordlicht (dann eher im Winter) hin. Weil natürlich sehr in der Nähe der finnischen Grenze – genau gesagt ein paar Meter und ein breiter Fluss – ist auch noch auf suomisch erklärt, was der „Napapiiri“ bedeutet. Auf das Auslegen von Steinen, die den entsprechenden Breitengrad symbolisieren, verzichtete man aus praktischen Gründen. (Ob dies jedoch die Tatsache rechtfertigt, dass die feine schwedische Dame den Tatort aus dem Auto heraus und lediglich mit der Handykamera festhält, ist dann doch sehr fragwürdig.) Zwar ist der Breitengrad selber fix, doch der eigentliche Polarkreis, der den Punkt resp. den Kreis markiert, wo am längsten Tag – und nur dann – die Sonne theoretisch nicht untergeht, verschiebt sich jedes Jahr um einige Meter. Weiter erklären möchte ich das hier nicht, schliesslich sollen die Geographie-Lehrer der Gymnasien nicht um ihren Job beraubt werden.
Elch, Polarkreis, Rentiere – drei typische Sachen Lapplands trafen wir also an. Baustellen kennen wir aus der Schweiz mehr als genug und stellen deshalb fest, hier oben gibt’s weniger und die sind – so scheint es doch – deutlich effizienter bewirtschaftet. Fehlt also noch die Mitternachtssonne. Und ich kann den Leser beruhigen! Während ich hier im Zelt in Abisko um 1 Uhr – also nach Mitternacht – und ohne künstliche Beleuchtung diese Zeilen schreibe, leuchtete die Sonne tatsächlich zum Tageswechsel über den Berg, was natürlich sofort ein hektisches Hechten nach der Fotokamera zur Folge hatte. Erfolgreich selbstredend. Zwar beherrschte ein dickes Wolkenmeer die Himmelsszenerie über Abisko, doch kleine Lücken liessen das einmalige Naturschauspiel noch naturschauspieliger werden. Wer es nicht mit eigenen Augen gesehen hat, kann es kaum verstehen.
Ein Schauspiel der ganz anderen Natur ereignete sich auch noch auf dem Zeltplatz: Gegen 23 Uhr fuhr ein grosser Car aus dem mutmasslich osteuropäischen Raum vor, und der Chauffeur fragte mich tatsächlich, ob ich wohl wüsste, ob er mit dem fetten, dicken Bus das kleine Kiessträsschen hinunterfahren könnte, wo ein Fahrverbotsschild den Weg versperrte. Innerlich schüttelte ich heftig mit dem Kopf, band natürlich sofort geistig alles fest, weil ich Polen vermutete, und sagte ihm ganz freundlich: „Nein.“ Spätere Begegnungen zwischen den neuen Gästen und sehr nervigen deutschen Jugendlichen, die eigentlich nur zu zweit und laut parlierend über den Zeltplatz gehen konnten, riefen in uns einige alte Geschichten hervor, die wir zum Glück nur aus dem Geschichtsunterricht kennen. Aber wir lagen völlig falsch! Es handelte sich bei den Reisenden zwar um Miteuropäer aus dem Osten, doch liegt Prag in der tschechischen Republik. Und sie sind schon wieder auf dem Rückweg, nachdem sie schon in Alta und Tromsö gewesen waren. Für morgen (also eigentlich heute) planen sie einen Trip auf dem Kungsleden, dem 500 km langen, südwärts führenden Wanderweg. Und in diesem Zusammenhang fragte mich der Chauffeur später beim Zähneputzen, ob man da auch mit dem Mountainbike fahren könne. Die Relation ist in etwa die gleiche wie die Fahrt mit dem Car über das schmale Kiesweglein hinunter zum Zeltplatz. Er wäre der einzige auf einem Zweirad auf diesem Hardcore-Wanderweg.
Und um den Tag noch komplett abzurunden, sei noch erwähnt, dass wir noch in Pajala und Kiruna einen Halt machten. Pajala ist die Hauptstadt von Mikael Niemis Buch „Populärmusik aus Vittula“ – etwas vom besten und lustigsten, das ich je gelesen habe! – und hat eine überdimensionierte Sonnenuhr. Kiruna hat das grossen Bergwerk, das so gross ist, dass es unter einen Teil der Stadt gerät. Deshalb überlegt man sich nun sehr, sehr ernsthaft, einen Teil der Stadt zu verlegen. Das Thema Zügeln ist als wieder einmal ernst! Und Kiruna hat ausserdem noch ein von einem Libanesen betriebenes Kebap-Pizza-Pasta-Restaurant, das von uns freundlicherweise frequentiert worden war.
Mit einer Mär können wir leider nicht aufräumen. Es gibt im Norden sehr viele Mücken. Mein Anti-Brumm ist zwar in die Jahre gekommen, aber immer noch forte und wirkungsvoll. Doch der grösste Beweis (wohl auch zahlenmässig) zeigt sich am Kühlgitter des Autos, das vor lauter (toter) Mücken fast schwarz ist.
PS: Ich danke der schwedischen Touristenorganisation für den überwiesenen Betrag, und dass ich jetzt auch meine Elchgeschichte erzählen darf...
Songs des Tages:
- Udo Lindenberg „Sonderzug nach Pakow“, weil wir da sicher nicht hinwollen und weil der Klassiker gleich nach der Abfahrt serviert wurde.
- E-Type „True Believer“, weil ausser DJ Bobo niemand mit der gleichen Melodie und geändertem Text so viele Lieder herausbrachte und es immer wieder in die Playlists der Radios schafft.
Zahlen des Tages:
- Distanz: 403,0 km
- Durchschnittsgeschwindigkeit: 79 km/h
- Verbrauch: 6,7 l/100 km
- Fahrzeit: 5:05 h
©2007 – Alle Bilder und Texte Sascha und Marco
Saschas und Marcos Jubiläumsreise. Schreib uns:
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