Der Blog von unserer Ferienreise vom Norden, resp. etwas südlicher davon, in den Norden, resp. in den Westen.

Durch senile Klischees geschleust

Dienstag, 19. Juni 2007: Am Morgen um 7 Uhr ist die Welt auf der Fähre noch in Ordnung. Nicht, dass die reisende Seniorenschar nicht von der senilen Bettflucht geplagt wäre, nein, vielmehr sitzen diese beim Frühstückstisch. Unschwer zu erraten, dass sich die Spiele vom Vorabend am Buffet wiederholen. Es bleibt aber ein Rätsel, weil ich mich alleine auf dem Sonnendeck auffrischte und die Morgenluft genoss. Schliesslich war einem der Schreck des Verschlafens schon in die Glieder gefahren. Man erwacht, es ist taghell, jetzt habe ich tatsächlich den Wecker nicht gehört. Als Routinier in Sachen Nordeuropareisender sollte man gegen solches Ungemach eigentlich immun sein, doch schützte in diesem Fall auch besseres Wissen nicht. Der Blick auf die Uhr enthüllte 4.00 Uhr; von verschlafen konnte weiss Gott keine Rede sein.

Drei Stunden und eine Dusche später, war die Welt auf dem Sonnendeck also in Ordnung. Die Augen blinzeln noch klein in die grosse Welt, und noch ist das leise Dröhnen der Schiffsmotoren und vereinzelt krächzende Möwen das einzige, was zu hören ist. Das ändert natürlich schnell, als die Fähre Kurs Richtung Göteborg nimmt. Sagen wir, entscheidend Kurs Richtung Göteborg nimmt, sonst wäre wohl in der Nacht etwas ziemlich schief gelaufen. Nach verschlungenem Frühstück stürzt die Passagierschar natürlich auch aufs Oberdeck, um keinen Moment der Anfahrt zu verpassen. Der Ostdeutsche beäugt das nahe Ufer durch den Feldstecher und kommentiert für seine Frau, was auch von blossem Auge mühelos zu erkennen ist. Die Holländer schnattern ohnehin permanent und wild durcheinander, und zwei Schweden unterhalten sich über absolut Unwichtiges – Hauptsache geschwatzt.

Gross war die Unruhe schliesslich als die Fähre, die doch ein ziemlicher Kahn ist, sich kurz vor der Anlegestelle einer grossen Brücke näherte. Vorne Antenne und hinten Kamin ragen zwar tatsächlich bedrohlich in die Höhe, doch es sei hiermit allen versichert, dass dies nicht die erste Passage der Fähre unter eben dieser Brücke durch war. Und hatte sie die vorherigen mühelos und vor allem ohne Schaden überstanden würde dies auch die weiteren Male, also auch in diesem Fall, so sein. Gleichwohl erfüllten leicht deutsch-holländisch angehauchtes „Ahhhhs“ und „Ohhhhhs“ das Zuschauerdeck. Und zugegeben, rein optisch sieht’s auf den ersten Blick schon ein wenig nach Abbruch GmbH aus.

Als die Fähre rückwärts eindrehend schliesslich ihren Parkplatz – oder wie das in der Schiffssprache auch immer heissen mag – erreicht hatte, glich das Innere der Fähre alsbald einem ziemlich ungeordneten Ameisenhaufen. Die Fusspassagiere wollten alle zuerst einwandern, die Automobilisten drängten zu ihren Gefährten. Als ich jedenfalls auch zu meinem Wagen kam, sassen rundherum alle schon in den ihrigen und warteten ungeduldig auf das Öffnen des Fährentors. Ich hatte mein Auto zugegeben auch in einer komfortablen Abwarteparkposition. Schnell verteilten sich die Fahrzeuge, der Zöllner kontrollierte die Einreisenden, sofern sie ein nicht-schwedisches Autokennzeichen hatten. Seit der Erleichterung der Einfuhrbestimmungen ist das Einschmuggeln von Alkohol derart legal, dass es schon fast keinen Spass mehr macht. Erst die erste Begegnung mit den lokalen Preisen in Restaurants lässt das Herz und den Geldbeutel wieder höher springen.

Mein Weg führte direkt aus der Stadt nordostwärts und hatte quasi als leichte Einführung in die Sehenswürdigkeiten des Landes die Festung Bohus direkt am Weg – zumindest in Sichtweite. Sie wurde denn auch zum kleinen Aufgalopp gebraucht. Den Parkplatz finden ist hierzulande jeweils kein Problem, die Sehenswürdigkeiten sind in aller Regel (zu den Ausnahmen später) sehr gut ausgeschildert. Da ich jedoch in schönem Wetter und mit Rücksicht auf die mitgeführten Getränke, deren Menge jedoch weit unter dem zulässigen Höchstmass liegt, zum Schattenparkierer mutierte, verpasste ich das richtige Weglein, das mich zum Haupteingang geführt hätte. Über eine steile Stahlrohrtreppe, über die mich zugegebenermassen doch einigermassen gewundert hatte, kam ich ins Innere der Festung und schreckte offenbar jemanden ordentlich auf. Allerdings keinen Ordner, sondern zog sich eine Frau leicht in der Ferne und im hohen Gras die Hosen hoch. Hoch kam dazu aber kein Mann, soviel Entwarnung sei schon vorausgeschickt; wohl hatte die Tramperin die Nacht in dieser historischen Stätte verbracht, den sie zog weniger später mit Rucksack und Pack von dannen.

In Sachen Sehenswerten macht der Nordeuropäer gerne aus einer Fliege auch einmal einen Löwen, um die Dimensionen des Vergleichs im Rahmen zu halten. Wer die erste Schleuse des Landes in Lilla Edet sehen will, der sei vorgewarnt. Viel erinnert nicht mehr, dass dieses viereckige, mit Wasser gefüllte Ding einst eine Schleuse war. Freundlicherweise hat es aber ein grosses Hinweisschild und eine Informationstafel, die den verwirrten Besucher aufklärt.

Der Mensch ist ein Gewohnheitstier, im besonderen wenn er deutsch ist. Auf dem Parkplatz des Aquädukts von Håverud angekommen, stiess ich sogleich auf eine Horde Menschen gesetzteren Alters und sonst sitzend. Die Uhr zeigte knapp nach 12 Uhr, also war für die Reisegruppe aus dem Schwäbischen (es war unüberhörbar) auch Mittagspause. Der Chauffeur hatte vor seinem Gefährt auf einem Tisch den grossen Würstchenkocher aufgestellt und bevor es zum kleinen Sightseeing ging, wurde eifrig verpflegt. Die Schleusenanlage des Dalslands-Kanal von Håverud ist jedoch nicht nur des Aquädukts wegen spektakulär. Die über das Aquädukt führende Eisenbahnbrücke kann für grosse Schiffe kurzerhand angehoben werden und die weit oben das Tal überquerende Strassenbrücke bietet einen wunderbaren Blick auf das Ganze. Dass während der Besuchszeit gerade keine Schiff durch das Aquädukt und die Schleusen wollte, ist nur ein kleiner Schönheitsfehler.

Das oben verpasste Spektakel liess sich in Trollhättan, nachdem man den 60 km langen Umweg zum Aquädukt wieder zurückgefahren war, ohne Mühe nachholen. Gleich drei Generationen von Schleusen sind hier in kürzester Gehdistanz zu bewundern. Allerdings ist nur die jüngste tatsächlich noch in Betrieb und von der mittleren Generation die Funktion als solches noch erkennbar. Von den frühesten Schleusen zeugen einzig noch der in den Fels gehauene, stufenartige Kanal. Und eigentlich wäre auch noch eine vierte Generation zu sehen, doch wurden die Bauarbeiten zu dieser (Polhems Schleuse) frühzeitig und nach einem Unglück wieder eingestellt. Der in der Nähe donnernde und tosende Wasserfall wurde der Wasserkraft geopfert; er donnert und tost nun nur noch ganz spärlich und selten über die Felsen. Und zum versprochenen Spektakel der Schleusendurchfahrt lud ein dänisches Lastschiff, das gerade so in die Schleuse passte. Und wenig später musste die Durchfahrtstrasse, die über den Göta Kanal führt, angehoben werden, damit der Frachter die Stelle passieren konnte.

Runensteine sind wichtige Zeitzeugen des Landes, und nirgends sind so viele erhalten wie in Schweden. Das muss man sich als Runenstein schon abheben, will man auffallen. Das macht der Sparlösasten mit Sicherheit. Und zwar nicht weil er geschützt in einem umglasten Holzhaus steht. Er ist ein ziemlich Mocken und ist einer der grössten seiner Art. Besonders ist sicherlich, dass er auf allen vier Seiten beschriftet und/oder bebildert ist. Das Häuschen dient dem Stein nun als Schutz und an den Wänden bieten Schautafeln zahlreiche Informationen, wie die Schriften im Stein gedeutet werden könnten. Gewisse Schwedischkenntnisse sind dabei nicht unerforderlich. Und wer sich über den Spalt in der Mitte des Steins wundert, dem sei gesagt, dass der zweigeteilte Stein einst in die Mauer der Kirche integriert gewesen war.

Das prächtige Schloss Läckö direkt am See war einst vom Bischof als Festung gebaut worden und ist heute eine Touristenmetropole. Schon viele Kilometer im Voraus weisen Schilder den Weg zum riesigen Parkplatz, auf dem ein Obolus von 30 Kronen zu entrichten ist – oder besser wäre. Der Automat, neben den ich meinen Wagen stellte, verkündete, ausser Betrieb zu sein, was ich wiederum als Angebot zum Gratisparken annahm. Weil es bereits nach 18 Uhr war, befand sich der deutsche Tourist aus bereits erwähnten Gründen irgendwo an einem Esstisch, der Holländer hatte sich mit seinem Wohnwagen noch nicht hierher bewegt und auch andere fehlten zu diesem Zeitpunkt.

Das Schloss selber schliesst seine Pforten um 18 Uhr, was eine Besichtigung von aussen explizit jedoch nicht ausschloss. Je später der Abend dann noch wurde, desto grösser wurde gleichwohl auch der Hunger des zeitlich ungebundenen Essers. Weniger gross war jedoch das Angebot an entsprechenden Lokalitäten in Lidköping. Beim Italiener waren die Stühle auf der Veranda erstaunlicherweise schon zusammengeklappt und im Hotel Läckö verwies mich das Hinweisschild auf gepflegte Kleidung; man war mit FlipFlops unterwegs. So fand man sich nach halbstündigem Spaziergang mit Kohldampf im Restaurants des „eigenen“ Hotels wieder. Am Nebentisch glaubte ich zuerst eine Gruppe von Pornodarstellern, was aber offenbar ein nicht fairer Schluss war. Es könnten auch Geschäftsherren verschiedenster Provenienz gewesen sein. Hochtrabend waren ihre Gespräche in jedem Fall nicht; kaum einer wusste, was er jetzt genau bestellt hatte. Der Finne am Tisch, der sich als solcher zu erkennen gab, war leicht überraschend der Wortführer, während die englisch sprechenden Mittafler letztlich nicht genau einem Land zuzuordnen waren. In jedem Fall betrieb der Finne noch eine leichte Art der Geschichtsverfälschung, indem er den Final der Eishockey-WM 1995 in den Mittelpunkt aller Sportereignis stellte. Ihm seien der Final des Olympia-Turniers 2006 (der er zugab, aus dem Gedächtnis gestrichen zu haben) sowie die WM-Partie in der Hartwall-Arena, als die Finnen eine 5:1-Führung verspielen und von Peter Forsberg vorgeführt wurden, in Erinnerung gerufen. Und noch ein Klischee wurde in Lidköping eindrücklich bestätigt: Es gibt blonde Schwedinnen.

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