Der Blog von unserer Ferienreise vom Norden, resp. etwas südlicher davon, in den Norden, resp. in den Westen.

Je Norden desto Sonne

Sonntag, 24. Juni 2007: Trotz widerlichsten Umständen, will heissen wolkenverhangenstem Himmel, wagten wir mutig den Einstieg in unsere Reise in den Norden. Die geplante Abfahrtszeit um 9 Uhr fiel schnell der Flexibilitäts-Doktrin zum Opfer. Erstens waren nicht alle Teilnehmerinnen an diesem Morgen speziell flink und vorwärtsorientiert. Und zweitens stellte das Packen des Autos mit der durchaus nicht unbescheidenen Menge an Gepäck inkl. zweier vollständiger Fotoausrüstungen und einem Laptop, auf dem ich gerade diese jüngsten Zeilen in Umeå auf einem Campingplatz – doch dazu im Detail später, viel später – schreibe. Die Abfahrt verzögerte sich auf jeden Fall um fünf Viertelstunden, und der Platz auf dem Rücksitz für die dritte Person, in diesem Fall Ylva, war gerade quasi perfekt bemessen.

Die Fahrt führte uns alsbald nicht nur in den Norden sondern auch in den Regen. Auf der Höhe von Gävle strätzte es derart, dass man sich unweigerlich an die zum Glück nur auf den Internet gesehenen Bilder des Unwetters in der Schweiz von dieser Woche erinnerte. Weil sich gegen Mittag dann auch noch Mägen und Benzin quasi im Gleichschritt leerten, war der erste Halt oberstes Gebot. Nach der erneuten Bekanntschaft mit der 400-Kronen-Limite bei Kartenautomaten und dem deshalb vorgenommenen zweiten Boxenstopp an gleicher Stätte, folgte sogleich auch noch der Nahrungsstopp im Hakke Gård in der quasi gleichen Boxenstrasse. Das soll uns bitte sehr einmal eines dieser modernen Formel-1-Teams nachmachen!

Die Nahrungsauswahl war erstaunlich breit und fiel auf die traditionellen Köttbullar im Falle des Schreibenden und auf die gleiche, jedoch anders geformte Fleischart bei den Mitfahrern. Dazu Kartoffeln. Allerdings war selbst die Findung des richtigen Menüs durchaus philosophischen Zwängen unterworfen. Zum einen gilt natürlich die alles überragende Flexibilitäts-Doktrin in der Auswahl der eigentlich Nahrungsmittel, doch tritt nach erfolgter Wahl des eigentlichen Gerichts sofort die Konsequenz-Doktrin in Kraft, nach der man sich nicht mehr unmittelbar vor dem Bestellen durch seltsame oder auch normale äussere Umstände allzu leicht wieder umstimmen lässt. Es wurden also nicht kleine Kartoffeln und anderes Beigemüse mit Spiegelei, obwohl auch dieses sehr lecker ausgesehen hatte.

Der Scheibenwischer erreichte bald beinahe seine Kapazitätsgrenze, doch der helle Horizont deutete die Besserung an. Bald wurde die Windschutzscheibe tatsächlich nicht mehr von unbarmherzig niederprasselnden Regentropfen permanent befeuchtet. Vielmehr liessen sich am Horizont leichte hellgraue Flecken ausmachen, die sich zusehends blau einfärbten. Und wieder einmal erwies sich der iPod als Wetterfühligster aller Wetterfühligsten (hat nichts mit einem Profimusiker und Unihockeytrainer zu tun!). Als nämlich die ersten Sonnenstrahlen aus dem ungemütlichen Kühl eine angenehme Atmosphäre zu schaffen begannen, erwärmte der MP3-Player unser Herz mit afrikanischer Musik. Johnny Clegg & Savuka. Cruel, Crazy, Beautiful World. Wie wahr!

Allerdings sei nach so viel Lob für den iPod auch eine gewisse Kritik erlaubt. Dass sich Phil Collins mit „Fly So Close“ in unsere Herzen gespielt hatte, schien vom Gerät überbewertet zu werden. Er servierte sogleich weitere Songs von Collins, was uns dann aber doch zu Phil war.

Zu diesem Zeitpunkt hatten wir uns allerdings auch längst gewundert, dass sich einige Radfahrer auf die E4, die mehr oder weniger der Küste nach durch ganz Schweden verläuft, verirrten. Das waren – wenn sie für längere Fahrten ambitioniert schienen – durchaus sportliche Typen. Unterwegs wurden jedoch auch andere Figuren beobachtet, und bei einer Frau konnten wir uns die Bemerkung nicht verkneifen, dass ihr Rad fahren sicherlich bekomme. Ob gleiches für den fahrbaren Untersatz gilt, muss jedoch stark, wenn nicht gar stärksten bezweifelt werden. Später fiel noch ein später Teenager auf, der offensichtlich seine ersten Versuche als Jogger machte und dabei mehr einer Dampfwalze glich und Gabi Andersen-Schiess bei ihrer leicht unharmonisch wirkenden Zielankunft beim Olympiamarathon glattweg elegant aussehen lassen würde.

Zum Marathon, zumindest in Kilometern, wurde dann die Unterkunftssuche in Umeå. Zwar fuhr man derart zielsicher vor der Jugendherberge vor, dass man selbst hochüberrascht aber auch erfreut war. Doch das war erst der Beginn der Probleme, die ihren Ursprung in einem völlig unnötigen Ausflug über eine Nebenstrasse – der Strassenabschnitt Höga Kusten ist definitiv überbwertet! – hatte. Die Jugendherberge ist nach 19 Uhr geschlossen und will dann auch keine Gäste, die sich nicht im voraus angemeldet hatten, mehr aufnehmen. Die Rezession scheint den Norden noch nicht erreicht zu haben, schliesslich baut man ja auch eine neue schnurgerade Eisenbahnlinie. Verglichen mit dieser ist die Strasse wie eine von freier Hand gezeichnete Linie von Muhammed Ali. Aber wie gesagt, vor verschlossener Jugi-Türe stehend – das heisst, eine mutmasslich stark betrunkene oder anders wie sonst nicht ganz geputzte Frau öffnete selbige mit dem Code, was uns aber nicht weitergebracht hätte – mussten Alternativ-Lösungen her.

Dabei stellten sich vornehmlich zwei Probleme. Erstens wohin im Detail, und zweitens hatte ich kurz nach dem Einparken – das heisst eigentlich gingen die Probleme schon am Lichtsignal vor der Jugendherberge los – ernsthafte Probleme mit der rechten Kontaktlinse. Beim Lichtsignal also führte ein allzu heftiges Reiben zwischen Auge und Sonnebrille zu einer nachhaltigen Positionsänderung der Kontaktlinse. Die Behebung des Problems wurde auf dem Parkplatz rund 284,37 m später sofort an und in die Hand genommen. Und auch in den Mund, was sich letztlich als entscheidender Fehler erweisen sollte. Beim dritten Versuch sie mit Daumen und Zeigfinger von der Zunge zu klauben, stockte mir aus absolut unerfindlichen Gründen der Atem und beim nächsten Schlucken war die Linse durch die Speiseröhre entschwunden. Das bedeutete, dass man die Unterkunftssuche von nun an als quasi Halbblinder z bewältigen hatte. Alle Sicherheitsfanatiker seien an dieser Stelle jedoch ernsthaft beruhigt: Meine Sehschwäche ist nicht von übermässiger Natur, eine Linse hatte ich ja noch und vor allem waren die Beifahrer ausreichende mit Sehhilfen ausgerüstet.

Die erste Idee nach der ersten Idee, war das Aufsuchen des Zeltplatzes in Holmsund, das etwas ausserhalb von Umeå liegt. Im Vorbeirauschen erblickte Marco gar noch eine Jugendherberge, die tatsächlich auch geöffnete Türen hatte. Das war aber auch alles. Der Zeltplatz also, direkt beim Sandstrand, den man aus eigener Erfahrung schon kannte. Doch oh grossen Staunen! Wohl war die Struktur des Campingplatzes (als wir ihn dann endlich gefunden hatten) sehr gut zu erkennen, ohne dass archäologische Kenntnisse dafür nötig gewesen wären. Aber eben nur die Struktur. So hiess die neue Marschroute, den 20-km-Weg wieder zurück und zum Campingplatz in Umeå. Dieser liegt zwar nicht ganz so schmuck, dafür existiert er noch. Und hier eben, mittlerweile um 23 Uhr und noch immer taghell, schreibe ich eben noch diese letzte Zeilen. Und töte Mücken am laufenden Band. Tätsch!

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