Der Blog von unserer Ferienreise vom Norden, resp. etwas südlicher davon, in den Norden, resp. in den Westen.

Philosophisches zum Mittsommertag

Freitag, 22. Juni 2007: Kleiner Nachtrag noch zum gestrigen Tag, der ja beim Espresso ordentlich gemĂŒtlich aufgehört hatte. Und zwar mitten im Nachmittag. Um den geschĂ€tzten Leser ĂŒber den Ausgang des Abends, der ja ganz vielfĂ€ltig hĂ€tte sein können, nicht allzu sehr im Ungewissen zu lassen – zumal man erst um 10.30 Uhr sich wieder aus dem Schlaf erhob. Der Abend driftete definitiv nicht in ein BesĂ€ufnis ab, dennoch wurde man mit einer nur schwer zu akzeptierenden Wahrheit konfrontiert: Ich bin ein SchwĂ€chling.

Diese Erkenntnis gewann ich aus dem eigentlich sehr feinen Abendesse bei meinem Lieblingsinder in Uppsala. Das preisgĂŒnstige Buffet bietet verschiedene Köstlichkeiten, die meisten absolut problemfrei geniessbar. Neben einem der GefĂ€sse, die die Nahrungsmittel beinhalten, stand die Warnaufschrift „Obs! Mycket stark!“, frei nach dem Motto des Fischermanns Freund „Ist es zu stark, bist du zu schwach“. Den Schweissausbruch am Tisch konnte ich gerade noch zurĂŒckhalten, und Marco und Ylva bemerkten meine blamable SchwĂ€che nicht. Der scharfe Genuss beschĂ€ftigte jedoch meinen Verdauungsapparat noch Stunden. Erst heute Morgen und nach der zweiten Toilettensitzung normalisierten sich die VerhĂ€ltnisse in der Bauchgegend.

Dazwischen stand noch ein Besuch von Seelenverwandten auf dem Programm, die bereits Eingang in den Blog gefunden hatten. „Ocean’s Thirteen“ ist auch im Uppsalaer Kino trotz schwedischen Untertiteln gut verstĂ€ndlich und vor allem zum Ende hin unterhaltsam. Die Pitts und Clooneys von den WĂ€nden der schwedischen Prinzessinnen sind ja schliesslich Ă€hnlich lĂ€ssige Typen, mindestens im Film, wie wir Blogger – vielleicht ein bisschen reicher. Aber sie begegnen den Unwegsamkeiten des Lebens, derer es ja zahlreiche gibt, mit gleicher Lockerheit. Nachdem genĂŒgenden Aufbau des SelbstwertgefĂŒhls wird natĂŒrlich auch des Schweden wichtigster Feiertag mit positiven Emotionen entgegengesehen.

Der Schnaps kann kommen! Zumal ja irgendwann am spĂ€ten Donnerstagabend der Blog auch tatsĂ€chlich den Weg ins weltweite Netz gefunden hat – dank sorgsamer Arbeitsteilung: Marco beherrscht die Programmiersprache (offensichtlich), wĂ€hrend der davon völlig unbelastete Autor sich ans Prosa hĂ€lt – und nicht zu kurz. Es sei aber noch festgehalten, dass Marco in keiner Weise ein reiner Spezialist der Bites und Bytes mit einer flaschenbodendicken Brille ist; er prĂ€gte zum Beispiel heute den Satz „Die Masse expandiert im Vakuum“. Wir haben uns noch kurz ĂŒber diese Theorie der Korrelation von Anzahl Personen und der ihnen zur VerfĂŒgung stehenden Platz an einem Esstisch philosophiert, ehe wir uns wieder AlltĂ€glichem widmeten.

Aber zurĂŒck zum Schnaps. Der ist am besten gekĂŒhlt geniessbar, vor allem wenn es noch um eigentlich fast praktisch ungeniessbaren BĂ€ska Droppar (geschmacklich vergleichbar mit Aquavit, mit dem man schon einschlĂ€gige Erfahrungen gesammelt hatte) handelt. Es existieren nun verschiedenste Varianten, sich resp. den Schnaps der gewĂŒnschten Temperatur anzunĂ€hern. Eine Möglichkeit wĂ€re die lĂ€ngere Einlagerung im KĂŒhlschrank. Eine andere das Vermischen mit EiswĂŒrfeln direkt beim Ausschank, was aber wiederum zwei sehr entscheidende Nachteile hat. Erstens passt der EiswĂŒrfel nicht ins Schnapsglas und zweitens wĂŒrde das auftauende Wasser den Alkoholgehalt entscheidend senken, was wiederum fĂŒr einen echten NordlĂ€nder absolut nicht tolerierbar ist. Also kommt die dritte Variante der KĂŒhlung im TiefkĂŒhler zum Zug, schliesslich liegt der Schmelzpunkt von Alkohol bei –114,4°. Also keine Gefahr von platzenden Flaschen wie das bei Blöterliwasser oder auch Bier ja durchaus der Fall sein könnte. Nun ist aber zu bemerken, dass es sich bei BĂ€ska Droppa nicht um reinen Alkohol handelt, obwohl es wenig danach schmeckt, und der Alkoholgehalt bei 40 Prozent liegt. Trotzdem gefror das Feuerwasser zu Eis, und der verĂ€nderte Aggregatszustand irritierte doch die Allgemeinheit, vor allem jene mit schwedischem Pass. Der geplante und besorgte Kontrollanruf betreffend dem Alkoholgehalt des teuer erstandenen WĂ€sserchens beim Systembolaget, der in Schweden die exklusiven Rechte am Verkauf von halbwegs anstĂ€ndig alkoholisierten GetrĂ€nken (also alles ab 4 Prozent) hat, landete beim Telefonbeantworter. Midsommar ist ein heiliger Feiertag, da wird Alkohol nicht verkauft, sondern nur getrunken.

Apropos Alkohol. Es sei hier ein kleiner Exkurs erlaubt. Entdeckt hat diesen angeblich der Perser Abu Bakr Mohammad Ibn Zakariya al-Razi beim Destillieren von Wein im 9. Jahrhundert. Das Wort Razzia stammt wohl nicht von ihm ab, dafĂŒr nannte er sein Destillat „alkoll“ (wir verzichten an dieser Stelle auf die Wiedergabe des Begriffs mit arabischen Schriftzeichen), was auf Arabisch so ungefĂ€hr „das Ganze“ bedeutet. Ob die Araber deshalb heute auf den Konsum dieser Substanz verzichten, weiss ich nicht. Aber wird hatten dafĂŒr eine ausfĂŒhrlich Diskussion, ob es im Schweizerdeutschen „Áraber“ oder „ArĂĄber“ heisst. Ersteres wĂŒrde bedeuten, dass es wohl auch „B-Raber“ und „C-Raber“ gegen könnte, was wiederum auf eine Mehrklassengesellschaft deuten wĂŒrde. Letzteres stellt einen bayrischen oder österreichischen Singular dar: „A Raber, zwa Raber
“. Abschliessend konnten wir die Frage jedoch nicht beantworten; wir hatten keinen Alkohol getrunken.

Und an diesem Zustand Ă€nderte sich auch in den folgenden Stunden – trotz grossem Feiertag – nur sehr wenig. Also eigentlich gar nichts. Um doch noch einige Autokilometer zu absolvieren, fuhren wir zum offiziellen Midsommarfest in Hammarskog knapp 15 km ausserhalb von Uppsala. Und wir waren nicht die einzigen, aber ziemlich die letzten. Der offizielle Teil dauerte von 14 bis 15 Uhr, und wir waren doch pĂŒnktlich um 14.47 Uhr auf dem FestgelĂ€nde. So reichte es fĂŒr knapp dreieinhalb Liedchen und TĂ€nzchen – als Zuschauer wohlgemerkt. Mit einer gewissen Genugtuung kann auch festgehalten werden, dass auch hier die VorsĂ€ngerin gleichsam als VortĂ€nzerin agieren musste – wir Studenten an der Uni ZĂŒrich waren also gar nicht solche Dilettanten. Dies aber nur als Bemerkung am Rande. Ein Teil der VerspĂ€tung ist auf die euphemistisch ausgedrĂŒckt vorsichtige Fahrweise der sich vor uns befindenden Automobilistin zurĂŒckzufĂŒhren, der grösseren Teil auf die verspĂ€tete Abfahrt.

Der Abend des Midsommars feiert der Schwede primĂ€r im privaten Rahmen, so auch wir. Ylva und Marco luden jeweils zwei befreundete Familien ein, ausserdem standen auch Ylvas Bruder mit Frau und Kindern auf der GĂ€steliste. Kein Kindergeburtstag könnte besser organisiert sein. Dass es kein klassisches Wiegenfest fĂŒr den Nachwuchs war, entpuppte sich rasch beim genauen Betrachen des reichlich gedeckten Tischs. Gleich mehrere Flaschen hochprozentiger GetrĂ€nke, auch unser einst tiefgefrorener Freund, standen auf der Festtafel bereit. Dazu hielt sich in der Hinterhand gekĂŒhltes Bier fĂŒr die durstigen Kehlen bereits bereit.

Die GĂ€steschar wurde leider arg reduziert, da Ylvas Bruders Frau aus gesundheitlichen GrĂŒnden dem Treiben fernblieb (trotz sehr nahem Wohnsitz) und Marcos Kollege wegen seiner Freundin schon am Vortag seinen Verzicht erklĂ€rt hatte. Leider hatten die Absagen keinen Einfluss mehr auf die schon getĂ€tigten EinkĂ€ufe, was sich in einer betrĂ€chtlichen Menge der Reste spĂ€ter offenbaren sollte. Immerhin tauchten Ylvas Kollegen mit der Höflichkeitsviertelstunde als VerspĂ€tung quasi pĂŒnktlich auf. Im Schlepptau hatten sie nicht nur ein Kleinkind, sondern – wir sind ja schliesslich in Schweden – auch noch zwei Flaschen Schnaps und mehrere Einheiten Bier. Vorsicht ist und bleibt in dieser Causa die Mutter der schwedischen Porzellankiste.

Nun trinkt der Schwede den Schnaps natĂŒrlich schon mit der Vorspeise (traditionell KnĂ€ckebrot, eingelegter Fisch genannt Sill, Kartoffeln) das erste SchnĂ€pslein und singt dazu. Der Gast aus der Schweiz hatte das mit dem „Helan gĂ„r“ (das Ganze geht) massiv ĂŒberinterpretiert und als einziger sein Schnapsglas geleert. Na ja. Ganzes Glas leer, halb so schlimm. Die muntere Spachtelei ging weiter, und Fellini hĂ€tte wohl gut und gerne zum zweiten Teil seines Meisterwerks „Das Grosse Fressen“ ansetzen können. Leider lebt der Maestro nicht mehr, und zweitens ging es auch ohne Filmteam ganz gut. Das Fleisch vom Grill schmeckte nach mehr, obwohl der Magen schon ordentlich gefĂŒllt war – mit deutlich mehr Esswaren und deutlich weniger Sprit als man befĂŒrchtet hatte. Weil sich dann entgegen sĂ€mtlicher Profi- und Laienprognosen doch einige Regentropfen aus den Wolken lösten, setzte vornehmlich bei den Teilnehmerinnen ein Ansatz einer Panikattacke ein. Rasch wurde ins Wohnzimmer gezĂŒgelt, Kaffee und Tee aufgesetzt und Cognac und Bailey’s aufgetischt. Zum grossen finalen Schlusspunkt setzte jedoch die jĂŒngste Teilnehmerin an: Statt auf dem Bett Marcos und Ylvas brav zu schlafen, gab sie eine Replik des abendlichen Nahrungsprogramms zum Schlechtesten. Trotz gewisser Alkoholmengen war die anderthalbjĂ€hrige Milchtrinkerin aber die einzige aus unserem Kreis (und das muss wohl explizit so formuliert werden), die sich ĂŒbergeben musste. Man kann zivilisiert feiern. Auch das ist eine Erkenntnis.

Songs des Tages:

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